Das Jahr 2020 soll ein Meilenstein im Kampf gegen Armutskrankheiten werden. Regierungen, Stiftungen und Entwicklungsorganisationen wollen den Übergang in das neue Jahrzehnt mit einem gemeinsamen Plan gegen die Krankheiten der Ärmsten einläuten. In Zeiten von COVID-19 besteht aber die Gefahr, dass dieser wichtige Moment der Solidarität unbeachtet bleibt. Dabei zeigt gerade das neue Corona-Virus, dass Gesundheit eine globale Aufgabe sein muss.
Am 25. Juni soll in Kigali, Rwanda der erste globale Gipfel für vernachlässigte Tropenkrankheiten und Malaria stattfinden. Der Anlass sieht vor, dass Oberhäupter aus aller Welt zusammenkommen und gemeinsam Schritte gegen Armutskrankheiten beschliessen. Die Botschaft an die Weltgemeinschaft: Gesundheit ist eine kontinentenübergreifende Aufgabe, die nicht an der Landesgrenze endet. Das neue Corona-Virus, Auslöser der grössten Pandemieseit rund 50 Jahren, gibt diesem Anliegen unerwartet viel Dringlichkeit.
Der Alltag der Schweizerinnen und Schweizer hat sich in den letzten Wochen stark verändert. Hygieneartikel sind zu einer begehrten Rarität geworden, marktführende Online-Shops bitten die Kundschaft um weniger Bestellungen und das Bundesamt für Gesundheit erklärt auf Youtube und Tiktok, dass Hände waschen Leben rettet. Die Wirtschaft ächzt unter der unerwarteten Last; Wohlstand und Menschenleben werden auf die Waagschale gelegt. Und das Gesundheitssystem der Schweiz, eines der robustesten der Welt, sieht sich mit einem Mangel an Fachkräften, Medikamenten und Pflegebetten konfrontiert.
Konsequenzen für die ärmsten Regionen unklar
Noch ist unklar, wann und wie das Virus die ärmsten Regionen dieser Welt treffen wird. Die von Expertinnen und Experten skizzierten Zukunftsszenarien gehen dabei weit auseinander: Manche hegen die Hoffnung, dass das tropische Klima die Ausbreitung der Krankheit verlangsamen wird. Auch weisen sie darauf hin, dass beispielsweise Menschen in afrikanischen Ländern häufiger mit Krankheiten konfrontiert werden und somit reaktionsfähigere Immunsysteme haben könnten. Die vergleichsweise junge Bevölkerung im Vergleich zu Europa wird teilweise ebenfalls alsChance für afrikanische Länder aufgeführt. Auch die Erfahrungen mit vergleichbaren Krankheiten, insbesondere SARS im asiatischen Raum, werden als positiv gewertet.
Demgegenüber stehen Einschätzungen, die auf die Gefahr vonCOVID-19 in Kombination mit HIV und vernachlässigten Tropenkrankheiten wie Wurmerkrankungen hinweisen. Am Beispiel der Schweiz und ihrer Nachbarländer ist zudem ersichtlich geworden, dass COVID-19 auch gut ausgestatte Gesundheitsstrukturen ins Wanken bringt. Das sind schlechte Aussichten für die Gesundheitssysteme in armen Ländern Afrikas und Asiens, die nicht einmal die grundlegendsten Bedürfnisse ihrer Bevölkerung abdecken können. Die in Europa vermittelten Massnahmen wie Home Office, Hände-Waschen und Social Distancing lassen sich zudem nur bedingt auf Länder mit extremer Armut anwenden: Betroffene müssen bei Erwerbsausfall hungern, Seifen sind ein Luxusgut und Abstand lässt sich in den überfüllten Zügen und Behausungen kaum halten.
Auch in der Schweiz wird viel über kurz- und mittelfristige Szenarien spekuliert. Dass sich die Diskussionen dabei hauptsächlich auf den Moment beziehen, ist verständlich. Es wäre aber eine verpasste Chance, wenn COVID-19 nicht als Weckruf wahrgenommen würde. In einer hochmobilen Gesellschaft können schwache Gesundheitssysteme am einen Ende der Welt innerhalb weniger Wochen Menschenleben am anderen Ende gefährden. Leere Züge, Städte und Clubs zeigen, dass die Schweizerinnen und Schweizer die Empfehlungen der Gesundheitsverantwortlichen gewissenhaft umsetzen. Den Medien kann man täglich entnehmen, dass die Solidarität mit gesundheitlich und wirtschaftlich Betroffenen in der Schweiz gross ist. Diese Solidarität muss auch Landesgrenzen und Kontinente überwinden – genauso wie das neue Corona-Virus, das sich über Geografie und Politik hinwegsetzt.